Carbonbeton

- Frage aus dem Bürgerforum -
Ist die Möglichkeit einer Sanierung mit Carbonbeton (1. Platz Zukunftspreis TU-Dresden) geprüft worden?

Einsatzbereiche Carbonbeton und Defizite Hochstraße Nord

Carbonbeton hat in Laborversuchen und ersten Testanwendungen bewiesen, dass er eine interessante Alternative zu Stahlbeton mit einer schlaffen Bewehrung darstellt.

Die Carbonfasern haben eine deutlich höhere Zugfestigkeit als Stahl und können somit zu deutlichen Materialeinsparungen führen. Darüber hinaus sind Carbonfasern unanfällig gegenüber Tausalzeinwirkungen, die viele Probleme im Brückenbau verursachen.

Die Defizite der Hochstraße Nord liegen jedoch nicht schwerpunktmäßig im Bereich der schlaffen Bewehrung sondern in der Spannbewehrung. So ist die Spannbewehrung in Längsrichtung in Teilen gerissen und in den Querträgern sind Spannstähle verarbeitet, die schlagartig ohne Vorwarnung reißen können. Eine Sanierung mit Carbonbeton ist hier nicht zielführend. Weiterhin sind als Folge der Chloridkorrosion, an vielen Stellen Entfestigungen des Betons zu verzeichnen. Die nicht leicht saniert werden können, da ein kraftschlüssiger Verbund für Druck- und Schubkräfte erforderlich ist.

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Anwendungsgebiete des Carbonbetons nicht zu den Defizitbereichen der Hochstraße Nord passen.

Stand der Wissenschaft und Forschung zum Carbonbeton

Grundsätzlich sind neuartige Baustoffe und damit geschaffene Einsparpotentiale im Ingenieurbau zu begrüßen. Beim Carbonbeton werden in einer Sandwichbauweise wechselweise dünne Schichten von Carbonmatten und Spritzbeton aufgebracht. Bei einer Brücke z.B. müsste der geschädigte Beton aufgerauht, angefeuchtet und mit einer dünnen Schicht Feinbeton angesprüht werden. In die noch feuchte Masse des Feinbetons wird ein Netz aus dünnen Carbonfasern gedrückt, die hohe Zugkräfte aufnehmen können. Dann folgen wieder Beton, dann wieder Carbon und so weiter. Am Ende würde das marode Altmaterial durch eine dünne Schicht aus Carbonbeton bedeckt werden.

Das Problem beim Carbonbeton ist, dass sich dieser Baustoff immer noch in der Entwicklungsphase befindet. Es existiert hierfür noch keine allgemeingültige bauaufsichtliche Zulassung geschweige denn ausreichend Erfahrung bei der statischen Bemessung der Bauwerke im Zusammenhang mit dieser Sanierungsweise. (siehe auch: https://www.bmbf.de/de/carbonbeton-fuer-robuste-langlebige-bruecken-6754.html)

Planung, Instandhaltung und Sanierung von Brückenbauwerken unterliegen den gängigen Vorschriften der Obersten Straßenbaubehörde der Länder und der Bundesanstalt für Straßenwesen. Die Vorschriften sind hier u.a. die Allgemeinen Rundschreiben Straßenbau (ARS) und die Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten (ZTV-ING). Man findet z.B. in der ZTV-ING Massivbrücken aus Stahl- oder Spannbeton, Stahlbrücken oder Verbundbauweisen aus Stahl und Beton in Kombination. Andere Bauweisen oder Baustoffe werden in diesen Planungsvorgaben für den Bau von Bundesfernstraßen noch nicht berücksichtigt, von daher kann mit neuartigen Baustoffen auch noch nicht richtlinienkonform geplant werden.

Derartige Richtlinien sind beim Bau von (öffentlichen) Bauwerken jedoch unerlässlich, da hierin jahrzehntelange Forschungen und Erfahrungswerte in die Planung und Bemessung der Bauwerke mit einfließen. Vorlaufend zu einer eigentlichen Beschlussfassung werden Neuerungen in verschiedensten Normenausschüssen durch erfahrene Ingenieure diskutiert und dann letztendlich in eine Richtlinienerstellung oder -anpassung eingebracht. Diese Richtlinien sind dann als Grundlage für alle Bauwerksplanungen und den Bau von Ingenieurbauwerken zu verwenden. Wird abweichend von diesen Richtlinien geplant, ist für jedes Bauwerk eine Zulassung im Einzelfall zu beantragen – insbesondere bei Verwendung von im Ingenieurbau weitestgehend unbekannten Baustoffen.

Mit Carbonbeton gab es vereinzelt bereits Erfolge in der Bauwerkssanierung, z.B. wurden bereits schalenartige Dachkonstruktionen oder einige Hochbauten erfolgreich saniert, bei Brückenbauwerken in einer Größenordnung wie bei den Brücken der Hochstraße Nord konnten bisher jedoch kaum Erfahrungen gesammelt werden.

Forschende des Projektkonsortiums "C3 – Carbon Concrete Composite", das vom Bundesforschungsministerium gefördert wird, sehen in der Sanierung oder dem Neubau die Chance, künftig deutlich robustere Brücken zu bauen. Dafür entwickeln sie Carbonbeton. Das Land Sachsen plant eine erste Straßenbrücke aus Carbonbeton. Im kommenden Jahr sollen die Bauarbeiten starten. In fünf Jahren rechnen die Forscher auch für diesen Zweck mit der ersten allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung. Die Hürden dafür sind hoch, da es um die Sicherheit von Menschen geht.

Wie es bei einer späteren Sanierung / Rückbau derart sanierter Bauwerke aussehen wird ist ebenfalls unklar, da beim Zerreißen von Carbon lungengängiger Feinstaub entstehen kann – siehe z.B. Berichte des ADAC beim Einsatz von Rettungskräften bei Fahrzeugen mit Carbonbauteilen.

Zum derzeitigen Stand der Forschung und Entwicklung geben die folgenden Zitate Aufschluss:

http://green.wiwo.de/carbonbeton/

https://www.bauen-neu-denken.de/

https://tu-dresden.de/bu/wirtschaft/bu/forschung/forschungsprojekte/projekte/c3

https://www.vdz-online.de/forschung/aktuelle-projekte/c3-nachweis-und-pruefkonzepte-fuer-normen-und-zulassungen/

"Um die Wende beim Bau und der Reparatur von Brücken, Türmen und Häusern zu beschleunigen, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 45 Millionen Euro für die Entwicklung des Zukunftsbetons spendiert. Hinzu kommen noch 23 Millionen Euro, die Unternehmen beisteuern. Die Mittel sind für Forschungsarbeiten bis 2020 vorgesehen. Mit dieser Unterstützung im Rücken wollen die Entwickler des Carbonbetons jetzt loslegen. Helfen soll dabei auch die von ihnen gegründete Initiative "C3 - Carbon Concrete Composite“. Sie wird von 80 Unternehmen und Forschungseinrichtungen getragen."

- Univ.-Prof.- Dr. –Ing. Dr.- Ing. E.h. Manfred Curbach, TU Dresden (Lehrstuhl für Betriebliche Umweltökonomie - "C3 - Carbon Concrete Composite")

"Wir gehen davon aus, wenn unsere Arbeiten weiterhin erfolgreich sind, dass wir in zehn Jahren ungefähr 20 Prozent des Stahlbetons durch Carbonbeton ersetzen können. Das werden zunächst mal Bauteile wie Fassadenelemente oder Platten betreffen. Aber wenn erstmal erkennbar ist, wie sinnvoll dieser neue Baustoff ist und wie gut er den alten ablöst bei längerer Lebensdauer, wird es vermutlich ein nachhaltiger Effekt sein."

Fazit

Die Baustoffindustrie investiert aktuell noch zu wenig in Forschung und Entwicklung neuer Baustoffe, den Beschäftigten der Baufirmen mangelt es an Aus- und Fortbildung im Umgang mit neuen Produkten.

Solange neue Materialien im Bauwesen noch keinen Standard darstellen oder sich als anerkannte Regel der Technik durchgesetzt haben, bilden Bau-Unternehmen ihr Personal dafür nicht aus. Das vor Ort bei der Verarbeitung der Stoffe eingesetzte Personal muss Schulungen belegen und Zertifikate für den Umgang und die Verarbeitung der neuen Stoffe erwerben. Diese zusätzlichen Kosten werden (zunächst) gescheut. Die Verarbeitung von Spezialbeton erfordert jedoch eine penible Einhaltung von Verarbeitungszeiten und Bandbreiten bei Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Im rauen Alltag einer Straßenbaustelle stört das. Dort sind "gutmütige" Baustoffe gefragt, die sich unter hohem Zeitdruck auch bei schlechtem Wetter verarbeiten lassen und deren Handhabung weitläufig bekannt ist.

Neue Materialien, die im Labor funktionieren, scheitern deshalb häufig in der Praxis, können aktuell den anzuwendenden Richtlinien noch nicht Rechnung tragen und ihr Einsatz muss für den Einzelfall geprüft und freigegeben werden.

Ob mit der dünnen Sandwichschicht aus Carbonbeton nachweislich die gleichen statischen Lasten aufgenommen werden können, wie bisher mit den herkömmlich verwendeten Verbundquerschnitten aus Beton, Stahl und Spanngliedern ist statisch/rechnerisch aktuell noch nicht geregelt bzw. aktuell auch nicht prüfbar.

Für die Verwendung von Carbonbeton bei der Erneuerung der Hochstraße Nord in Ludwigshafen ist es daher momentan noch zu früh.

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