Sehr geehrter Herr Matthes,
vielen Dank für Ihren Beitrag hier im Forum! Ich kann Ihr Interesse, wer hinter einzelnen Beitragen steht (oder sich gegebenenfalls auch: verbirgt) gut nachvollziehen. Und ich bin auch nicht so naiv zu glauben, dass hier interessensfrei diskutiert wird, also sozusagen ein "herrschaftsrfreier Diskurs" wie im Bilderbuch vorläge. Dennoch können und wollen wir niemanden zwingen, sich, wenn er oder sie nicht möchte, seinen wahre Identität preiszugeben. Das würde nämlich zweierlei Effekte haben: Entweder macht die- oder derjenige einfach nicht mit, weil er keine personenbezogenen Daten preisgeben will, oder, was wir auch nicht wollen, nimmt (missbräuchlich) die Identität eines Dritten an. Unsere Erfahrungen aus über 100 Online-Dialogen hat uns gelehrt: sobald wir den bürgerlichen Namen als verpflichtende Angabe verlangen, sind nur sehr wenige Akteure bereit teilzunehmen. Dabei geht es weniger um das Verbergen von Interessen bezüglich einer Planung, sondern vielmehr um den Schutz der eigenen Identität im World Wide Web.
Aus meiner Sicht ist das Thema Anonymität auch mit Blick auf die Stellung von Bürgerbeteiligungen (demokratietheoretisch gesehen) kein Problem: Denn am Ende entscheiden die über Wahlen legitimierten Politikerinnen und Politker: Sie bekommen die Konsultations-Ergebnisse vorgelegt und müssen diese in ihren Abwägungsprozess miteinbeziehen. Bürgerbeteiligungen sollen ein möglichst großes Spektrum der Meinungsvielfalt erfahrbar und sichtbar machen. Die Identität der Teilnehmenden spielt dabei keine vordergründige Rolle. Dabei werden - wenn es gut läuft - trotzdem sehr viele Interessen in den Meinungsäußerungen deutlich. Daher sind auch Bürgerversammlungen so angelegt wie sie angelegt sind: auch hier muss keine Bürgerin oder Bürger, die oder der aufsteht und (sich traut sich traut ins Rampenlicht zu treten und etwas zu sagen) ihren beziehungsweise seinen Namen oder Rolle oder Interessensverpfechtungen offen legen oder gar am Eingang seinen Personalausweis vorzeigen. Darum geht es nicht.
Wenn Sie glauben, dass Interessen nicht offen gelegt werden - um Ihren Beispiel zu folgen: dass es beispielsweise auch um viel Geld mit Blick auf neue Baugrundstücke gehen könnte -, und fadenscheinige Argumente vorgeschoben werden, dann sprechen Sie es an und stellen mit Gegenargumenten den oder die entsprechenden Beiträge oder Argumente in Frage. Unter Beachtung der Spielregeln: immer nur Argumente, nicht die Person angreifen - denn Teilnehmende, auch die, die ein Pseudonym nutzen, sind Personen, die wie jeder andere Mensch auch, mit Respekt behandelt werden möchte.
Besten Gruß,
Oliver Märker
Moderation im Auftrag der Stadt Ludwigshafen
P.S. Ich möchte noch nachtragen, dass das Thema "Anonymität und Bürgerbeteiligung" nicht nur ein sehr spannendes (daher die Länge meiner Antwort :-) sondern auch ein sehr umstrittenes ist. Es gibt auch Kollegen in der "Partizipations-Community", die sich gegen eine anonyme Beteiligung ausprechen. Ich muss also zur Kenntnis nehmen - auch wenn es viele Kollegen gibt, die sich wie ich für Anonymität aussprechen - dass es offensichtlich (noch) keine allgemeingültige Sicht auf Prozesse oder Angebote gibt zu denen ich auch dieses hier zählen würde. Das mag auch darin liegen, das interent-basierte Bürgerbeteiligungen im Vergleich zu vielen anderen Formaten noch recht "jung" sind. So wird über Bürgerforen oder andere Vor-Ort-Fromate interessanterweise viel weniger diskutiert und sie werden viel weniger in Frage gestellt, obwohl sie auch viele Nachteile mit sich bringen.